Die alte Kaufmannsstadt, Juli 2017
Es waren Tage außer Kontrolle. Auch außerhalb der Kontrolle derer, die dachten, es wäre okay, dass
sich die Weltenführer eine Stadt unter den Nagel reißen. Einfach so. Soviel war klar, unter den
Bewohnerinnen und Bewohnern der alten Kaufmannsstadt, beeindruckt war man wirklich nicht von dieser
verwegenen Gesellschaft unterschiedlicher kotzbrockenhaftiger Charismatiker. Es gab ein Geraune
und ein Aufstöhnen in der Stadt, gleich nach Bekanntgabe der tollen Idee, auf beiderlei Seiten der
Barrikade.
Wer vom Fach war, wusste was passieren würde. Nur der Bürgermeister, er schien wirklich zu
glauben, was er sagte. Wie ein weiteres Hafenfest eben, so sollte es sein. Seine und die anderen
Pappenheimer nicht zu kennen scheinend, eitel geblendet von der Aussicht auf den Fame, mit den
Weltenführern in die Kameras lächeln zu dürfen. Und es kam, wie es kommen musste, schließlich
kannten alle ihre Rolle. Gut orchestriert, alle kannten ihre Rolle.
Die dialektisch geschulte Anwohnerin und diese Band. Genau so, wie diese Einheiten,
zusammengezogen aus weiter Ferne, die ihren Knüppeln endlich mal wieder freien Auslauf verschaffen
wollten, und die schon im Vorfeld vor lauter Vorfreude die Besatzungsmacht spielten.
Und diejenigen aus Ländern, deren sogenannter sozialer Zusammenhalt nicht mehr überzogen ist mit
dem wärmenden Mantel des Versprechens auf Konsum. Sie wollten Herrn Schäuble einfach mal die
Möbel geradeziehen. Ob das nun in einem Viertel passiert, in dem viele auch nicht einverstanden
sind, mit dem, wie das so läuft, spielte da eher eine untergeordnete Rolle.
Vor ihnen gesellten sich erlebnisorientierte Hipster, so wie Leute aus der Vorstadt, die wohl nie
das bürgerliche Privileg haben werden, die Verhältnisse zu hassen, die es ihnen möglich machen, in
einer schicken Altbauwohnung in einem Szeneviertel wohnen zu können.
Sie hatten definitiv auch noch eine Rechnung offen und endlich mal eine geeignete Gelegenheit,
mitzugestalten. Uns es kam, wie es kommen musste. Alle kannten ihre Rolle. Es kam, wie es kommen
musste. Alle kannte ihre Rolle.
Die lokalen GenossInnen im globalen Kampf gegen eine irgendwie geartete Ausbeutung, sie durften
sich nicht lumpen lassen. Auch wenn manchen von ihnen Bange wurde bei so viel Entschlossenheit auf
allen Seiten. Wie meist bei solchen Anlässen war nicht klar, ob diejenigen, die hier diesen Kampf
in symbolträchtigen Bildern ausagieren, auch wirklich verständlich sind für die Verdammten dieser
Erde, für die sie ja, bei solchen Anlässen, immer zu sprechen glauben.
Die Gesichter, die man hinter den schwarzen Kapuzen und Sonnenbrillen sehen konnte, waren weiß
und meistens männlich. Und dann waren da natürlich all jene, die glaubten, die Weltenführer
ließen sich mit phantasievollen Maskeraden und klugen Sprüchen ins Grübeln bringen. Sie waren
zahlenmäßig die meisten. Uns so begannen die Riots und Rollenfestspiele. Gut orchestriert.
Soweit kannten alle ihre Rolle. Alle kannten Ihre Rolle.
Welche Demo passt zu Dir? Passt zu mir? Passt zu dieser Band? Was die Band betrifft, Welcome to
Hell!
Denn: The wealth of the few is hell to the others. Soviel ist immerhin klar. Wir waren die
Vorband, wir wussten, was wir taten.
Nach jenem Donnerstag kamen die Schlagzeilenjäger dann so richtig in Fahrt. Wie immer geifernd
nach dem ultimativen Bürgerkriegsszenario. Besoffen von den immer gleichen Bildern, die
letztendlich fristgerecht geliefert wurden und die einfach nur hinzugefügt werden mussten zu den
schon vorher geschriebenen Artikeln bigotter Empörung. Gerne bereit, jede listig gesetzte Finte
der Polizei handlangerhaft weiterzuposaunen.
Was fehlt in der Erzählung, ist das schwer Benennbare jenseits der Logik der Schützengräben. Was
der historische Anlass, dieser Raum abwesender Routine machte mit den Menschen, die sich in ihm
bewegten. Hier waren die Rollen eben nicht vorgeschrieben. Meist gut gelaunt, immun gegen die
Vandalenpropaganda staunte man über Situationen, die sich ergeben können, wenn es kein
vorgegebenes Muster gibt. Ein Viertel, in dem für ein paar Tage die Autos verschwunden waren.
Zwischen Straßensperren Diskussionen, Parties unterschiedlichster Menschen. Lustvolles Nehmen des
Raumes. Ein Rave zum Beispiel, spontan vor der alten Polizeiwache. Ein utopischer Moment, während
ein paar Straßenzüge weiter gerade die Bilder produziert wurden, auf die tagelang hingearbeitet
worden war.
Während(?) die Bürgerin des besseren Viertels, die völlig aufgelöst die Fernsehkameras wissen
ließ, sie wisse und verstünde gar nicht, woher dieser ganze Hass käme. Zeigt ihre
Fassungslosigkeit nicht, wie umfassend ihr Alltag von jeglicher Gewalt verschont zu sein
scheint? Und zeigt die Fassungslosigkeit nicht, dass dieser Zustand der Idylle vielleicht nur
möglich ist, weil die hier abwesende Gewalt anderswohin ausgelagert ist?